Von der Wichtigkeit, anderen über die Geburt zu erzählen!
Das vorherrschende Narrativ in unserer Kultur besagt: Solange Mutter und Kind die Geburt überlebt haben und nach den Standards der westlichen Medizin weitgehend gesund sind, ist alles gut.
Das wertet die Erfahrung vieler Frauen ab. Sie und das Baby sind zwar gesund, aber dennoch hinterlässt die Geburt immer tiefere Spuren in Körper, Geist und Seele. Wie so oft in unserer Gesellschaft wird auch bei der Geburt das Erlebnis durch den Vorgang ersetzt: In diesem Fall wird dadurch die existentielle Erfahrung der Geburt abgewertet, denn das Baby ist ja gesund.
Während des Geburtsvorgangs gibt es entscheidende Momente, in denen wir sehr intensiv mit uns selbst, mit unerwarteten Hindernissen oder ungeahnten Kraftreserven konfrontiert werden. Wenn wir die Erfahrung auf das Ergebnis reduzieren - insbesondere auf die abgedroschene Idee, solange die Frau lebt, wäre alles gut gegangen, dann lassen wir damit eine wichtige Ressource ungenutzt. Die Frau und alle Menschen um sie herum versäumen die Chance, durch diese Erfahrung an Weisheit und Reife zu gewinnen. Wir bei Motherside glauben, dass es sehr wichtig ist, über seine Geburtserfahrung zu sprechen, nicht nur um die Erfahrung der Geburt zu verarbeiten, sondern auch um dem Mysterium Geburt in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert einzuräumen! Das kann erstmal mit sich selbst sein und dann mit dem engsten Kreis. Mit dem Partner, deiner Hebamme, Doula oder Mütterpflegerin. Vielleicht auch mit der eigenen Mama, Oma oder besten Freundin. Irgendwann dann, wenn du dich sicher fühlst, auch im weiteren Umfeld wie dem Rückbildungskurs, Mama Cafés oder unter neu gewonnenen Mama Freundinnen. Manchen wird das nicht reichen - oft braucht es neben der Hebamme ein geschultes Ohr!
Wenn du über deine Geburtserfahrung nachdenkst: Spüre in deinen Körper hinein und höre auf deinen Bauch.
Lass beim Erzählen dein Herz sprechen und gib Acht auf die Empfindungen in deinem Körper. Du musst dich nicht an jedes Detail in der genau richtigen Reihenfolge erinnern können. Konzentriere dich lieber auf die Momente, die wichtig für dich waren, und darauf, wie du dich dabei gefühlt hast. Wenn dein:e Partner:in schildert, wie er oder sie die Geburt erlebt hat, bist du vielleicht überrascht, wie sehr sich seine oder ihre Version von deiner eigenen unterscheidet. Dein:e Partner:in könnte sich an andere Dinge erinnern als du. Was dir wichtig schien, könnte ihm oder ihr völlig unwichtig gewesen sein. Was aber zählt ist, dass ihr einander zuhört, ohne über die Details zu streiten oder etwas ändern und korrigieren zu wollen und ohne zu versuchen, den anderen umzustimmen. Ihr seid ein Team, welches ein fundamentales Ereignis gemeinsam, aber vielleicht doch aus 2 Perspektiven erlebt hat. Achte auf Wendepunkte in der Erzählung. Achte auf Stellen, die dein:e Partner:in wiederholt, besonders betont oder lauter oder leiser sagt. So erkennst du, was für ihn oder sie aufregend oder beängstigend war und wie eine nicht gebärende Person Geburt erlebt.
Oft müssen wir unsere Geschichte im Laufe der Zeit mehrmals erzählen, bis sich uns ihre Bedeutung erschließt.
Vielleicht irritiert uns etwas, das unsere Partner:in andauernd wiederholt, uns aber nebensächlich erschien. Und vielleicht versteht unser:e Partner:in nicht, warum wir einen Aspekt der Geburt nicht überwinden können, der in seinen oder ihren Augen notwendig, normal oder sogar praktisch erschien. Wir müssen den anderen nicht unbedingt verstehen, wir sollten nur vorbehaltlos zuhören. Das wünschen wir besonders der Person, die geboren hat. Dass dir jemand vorbehaltlos zuhört, ohne dich zu bewerten. Unsere Geschichten verändern sich im Laufe der Zeit, und das ist gut so. Ein Narrativ, das sich nie verändert, bedeutet, dass wir nichts dazugelernt und es nicht geschafft haben, uns in die tieferen Ebenen unserer Geschichte vorzuarbeiten. Ein so großes Ereignis wie die Geburt und der Beginn des Elterndaseins kann einen langen Zeitraum nach sich ziehen, in dem man eine gemeinsame Geschichte, die dem Erleben beider Rechnung trägt, noch finden muss.
Erst dann entsteht Raum für Wiedergutmachung und Heilung. Egal wie du deine Geschichte erzählst - durch Aufschreiben, mündliches Erzählen, Aufnehmen als Tonspur oder durch Kunst - du stärkst damit dein Selbstvertrauen.
Der Erzählvorgang wird dir möglicherweise zu wichtigen Einsichten über dich selbst, deine eigene KIndheit, über deine Bindung zu deinem Kind und/oder zu deinem:r Partner:in verhelfen. Vielleicht stellst du auch fest, dass dein Selbstbild von bestimmten Aussagen oder Umständen bei der Geburt beeinflusst wird. Oft müssen gerade die Geschichten derer, die eine schwere Geburt hatten, am dringendsten erzählt werden. Wir wissen, manchmal ist es schwer. Es braucht Zeit. Manchmal viel Zeit. Aber wenn du so weit bist, dann gibt es irgendwo da draußen ein offenes Ohr für dich. Und sei gewiss - nichts an deiner Geschichte ist falsch. Dein Erlebtes ist deine Geschichte. Deine Geschichte darf anders sein, als alles was du je gehört oder gelesen hast. Jede Geburt ist individuell. Nur darf sie sich für dich nicht falsch anfühlen.
Bei traumatischer Geburt: Du bist nicht alleine damit! Neben deiner Hebamme ist ein tolles Angebot das anonyme Hilfetelefon bei schwieriger Geburt!
Text inspiriert von "Jetzt bist du Mama" (Gibts bei uns im Shop) und Kimberly Ann Johnson aus: The Fourth Trimester